Wird die Krankenhausplanung demokratisiert?

Seit dem 8.9.2016, dem Tag der Pressekonferenz zum GKV-Kliniksimulator, kann der Internetnutzer sehen, wie sich die Schließung einer Klinik auswirkt. Der GKV-Spitzenverband schreibt zur Begründung: „Klinikketten sind schon seit Langem im Besitz von Software zur Simulation von Veränderungen im Krankenhausmarkt. Es wird Zeit, dass solche Simulationen nun auch für die Entscheidungsträger vor Ort und für die öffentliche Diskussion genutzt werden.“

Für jedes Gebiet mit ca. 1000 Einwohnern wird die PKW-Fahrzeit zu den Krankenhäusern ermittelt, die am schnellsten und zweitschnellsten erreichbar sind. Betrachtet werden 1138 Krankenhäuser, die 2014 Leistungen in der Inneren Medizin und der Chirurgie abrechneten.

 

Abb. 1: GKV-Simulator mit Schließung des Krankenhauses in Apolda

 

Abb. 1 zeigt z. B. die Auswirkung der Schließung des Hauses in Apolda, ein Haus, dessen Existenz der vdek im April in Frage stellte. Außer der Situation vor der Schließung (auch in Kartenform) liefert der Simulator zu jedem Krankenhaus Kennzahlen, die für das Haus in Apolda wie folgt aussehen:

Die durchschnittliche PKW-Fahrzeit zum nächsten Grundversorger ist auf alle Einwohner im 30-Minuten-Umkreis bezogen, also auch die, die am schnellsten die Klinik in Jena oder Weimar erreichen. Das Haus in Apolda hat jedoch ein (natürliches) „Einzugsgebiet“ (Gebiet, für die das Haus das am schnellsten erreichbare ist) von ca. 45.000 Einwohnern, die bei Schließung ihres Hauses im Schnitt ca. 15 Minuten mehr fahren müssen. Die Differenz von 2 Minuten taugt also kaum als „Betroffenheitsmaß“. Außerdem wird weder auf der Internetseite des Simulators noch in den vorangegangenen Publikationen von Scheller-Kreinsen ea erklärt, wie die durchschnittliche Fahrzeit berechnet wird: Was macht man mit den Bürgern, für die das nächstgelegene Krankenhaus sich zwar in Apolda befindet, die aber bis zu diesem Haus mehr als 30 Minuten benötigen?

 

Summierte Zusatzfahrzeit als Betroffenheitsmaß

Ein Maß, das den Frust der betroffenen Bürger widerspiegelt, ist die Summe der Zusatzfahrzeiten, wenn jeder Bürger, der im Einzugsgebiet eines geschlossenen Hauses wohnt, einmal in das am zweitbesten zu erreichende Haus fährt (ohne Rückfahrt). Als Produkt von 235.000 Bürgern mal 2 Minuten pro Bürger errechnet man eine summierte Zusatzfahrzeit von ca. 470.000 Minuten, d.h. etwa 47 Wochen (1 Woche hat 10.080 Minuten). Diese Zahl scheint jedoch zu niedrig zu sein – Folge eines Schusselfehlers oder eines systematischen Fehlers? Allein die ca. 22.000 Einwohner der Stadt Apolda benötigen zusammen ca. 47 Wochen, wenn sie alle einmal in die Klinik nach Weimar statt nach Apolda fahren. Und die ca. 23.000 Bürger in der Umgebung von Apolda sind der Grund für reichlich 20 weitere Wochen.

 

Die GKV-Präsentation erweckt den Eindruck, als ob der Verband nur ein Kriterium im Blick hat: Die Zahl der Bürger, die mehr als 30 Minuten bis zum nächsten Krankenhaus brauchen, soll möglichst gering sein. Ein weiteres Ziel, dass möglichst viele Bürger möglichst kurze Wege zu ihrem nächsten Krankenhaus haben sollen, wird nicht berücksichtigt. Das ist aus mehreren Gründen zu kritisieren, der Hauptgrund: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Notfallpatient die Fahrt zum Krankenhaus überlebt, ist größer, wenn die Fahrzeit nur 10 Minuten beträgt und nicht 30. Es ist auch eine Frage der Lebensqualität, wenn die nächste Klinik in der Nähe liegt.

 

Der Simulator sollte so erweitert werden, dass er weitere Fragen beantwortet:

Wie groß ist die mittlere Fahrzeit zur nächsten Kinder-, Hautklinik,...?

Welche Zusatzfahrzeit entsteht, wenn zwei Kliniken, die weniger als eine Stunde Fahrzeit auseinander liegen, beide geschlossen werden?

Noch besser: Der Verband sollte seine Datenbank mit Fahrzeiten zur Verfügung stellen, so dass jeder die Simulationen durchführen kann, die er für sinnvoll hält. Das wäre wahre Demokratie in Public-Domain-Zeiten!

 

Harald Englisch

Gesundheit Mitteldeutschland e. V.

prof@dr-englisch.de